Hochqualitative Studie beweist, moderne operative Rekonstruktionstechniken von Sehnenrissen in der Schulter (Rotatorenmanschettenrisse) zeigen auf lange Sicht ein eindeutig besseres Ergebnis als die konservative Therapie
Risse der Rotatorenmanschette sind das häufigste Beschwerdebild bei Schulterschmerzen über dem 50igsten Lebensjahr. Bisher war die landläufige Meinung, auch in der Fachwelt, dass eine Naht des Risses mit Rekonstruktion der Sehne nur wenig Vorteil gegenüber einer nicht-operatien Therapie mit Physiotherapie hätte. Endlich wurde in einer prospektiven randomisierten Studie (Moosmeyer S et al.) bewiesen, wovon erfahrene Schulterchirurgen schon immer überzeugt waren, nämlich der langfristige Vorteil der chirurgischen Rekonstruktion von degenerativen Rotatorenmanschettenrissen gegenüber der nicht-operativen Therapie. Langzeitdaten sind entscheidend, um wirklich zu definieren, wie sich ein chirurgischer Eingriff auf den natürlichen Verlauf einer bestimmten Krankheit auswirken kann.
Als Schulterspezialist Wien habe ich über die im letzten Jahrzehnt veröffentlichten Ergebnissen dieser einen Studie große Aufmerksamkeit gewidmet. Obwohl die früheren Veröffentlichungen aus dieser Studie einen signifikanten klinischen Unterschied festgestellt haben, der die chirurgische Rekonstruktion kleiner bis mittelgroßer Rotatorenmanschettenrisse gegenüber einer konservativen Therapie mit physiotherapeutischen Behandlungen begünstigt, befürworteten die Autoren eine konservative Behandlung über einen chirurgischen Eingriff wegen der mangelnden klinischen Bedeutung. Mangelnde klinische Bedeutung heißt, dass die Unterschiede zwischen den Gruppen nicht so ausgeprägt waren, dass die Patienten die Verbesserung in ihrem Lebensalltag verspürt hätten.
Die Frage, die ich schon immer hatte, wenn man diese Erkenntnisse betrachtete, ist einfach, wie sich diese operierten und nicht-operierten Schultern über einen längeren Zeitraum verhalten. Weil die meisten Beweise darauf hindeuteten, dass die Risse mit der Zeit größer werden und die Muskulatur immer mehr abnimmt und Muskelatrophie, sollte die Frage aufgeworfen werden: Definieren wir eine erfolgreiche Behandlung als kurzfristige Schmerzlinderung, oder sollten wir nach einer langfristigen Lösung suchen, die den natürlichen Verlauf des Problems unterbrechen kann?
Oft sehe ich Patienten, die sich in einer Situation befinden, in der ein chirurgischer Eingriff aufgrund eines an Größe zugenommenen Risses und/oder deutlicher Muskelverschmächtigung mit weitaus geringerer Wahrscheinlichkeit zu einer erfolgreichen Sehnenheilung führt? In vielen Fällen wurden diese Patienten dann nicht-operativ kurzfristig „erfolgreich“ behandelt, um später ein noch herausfordernderes Problem mit größer gewordenem Sehnenriss zu bekommen.
Es gibt einige bemerkenswerte Ergebnisse in dieser Studie, die auf früheren Erkenntnissen aufbauen. Es scheint ein zunehmendes Auseinaderklaffen in der
Funktion und im Schmerzniveau bei operativ behandelten Rissen im Vergleich zu konservativ behandelten Rissen über einen längeren Zeitraum hinweg zu geben, was ein frühzeitiges chirurgisches Vorgehen eindeutig begünstigt.
Bei Rissen, die konservativ behandelt wurden, zeigte die Mehrheit eine Risszunahme (durchschnittlich 10 mm in der Breite und 6 mm in der Tiefe).
Die Autoren stellten fest, dass diejenigen mit einer Rissvergrößerung von 10 mm oder mehr mit der Zeit einen größeren funktionellen Verfall aufweisen. In der chirurgischen Gruppe zeigte sich, obwohl die klinische Erfolgsrate hoch war, bei 34% der Schultern, die mit Ultraschall nach 10 Jahren nachuntersucht wurden, ein nochmaliger Riss (Reruptur) oder eben ein Versagen der Einheilung, was mit einem schlechteren klinischen Ergebnis verbunden war. Generell ist diese Rerupturrate akzeptabel im Vergleich zu einer meiner Studien, welche nach einer einfachen mit einer alten Technik vorgenommenen Sehnenrekonstruktion eine Rerupturrate von nahezu 75% nach 10-Jahren aufweist.
Von mir beschriebene moderne Rekonstruktionstechniken (Cinch Bridge Technik, https://www.youtube.com/watch?v=u–LygLAGjs) senken heutzutage, die Rerupturrate sogar auf 6% (Heuberer PR et al., „The knotless cinch‑bridge technique for delaminated rotator cuff tears leads to a high healing rate and a more favorable short‑term clinical outcome than suture‑bridge repair, KSSTA 2019).
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Frühere hochqualitative Studien (Level 1) haben keinen Vorteil eines chirurgischen Eingriffs gegenüber einer physikalischen Therapie für die Behandlung von degenerativen Rotatorenmanschettenrissen gezeigt. Die Physiotherapie spielt eine wichtige Rolle bei der Bewältigung dieser Risse. Das Problem in den meisten Studien ist, dass es entweder an statistischer Aussagekraft fehlt oder es handelt sich in der Regel nur um eine kurzfristige Nachsorge.
In der Behandlung dieser Patienten sollten bei der Beratung zusätzlich zur kurzfristigen Schmerzlinderung die langfristige Funktion in Betracht gezogen werden. Obwohl gezeigt wurde, dass die Risscharkteristik (Größe, Retraktion, Sehnensubstanzverlust, Muskelverfettung) nicht mit der Schwere vom Schulterschmerz und Funktionsstörungen zusammenhängt, haben Risscharakteristik als auch Fortschreiten des Patientenalters einen tiefgreifenden Einfluss auf die Heilungskapazität einer Sehnennaht. Je größer und je weiter zurückgezogen der Riss, je mehr Sehnengewebe schon aufgerieben ist und je größer die Muskelverfettung, desto schlechter die Heilungschancen. Diese Faktoren werden noch relevanter, wenn ein Patient Jahre später mit wiederkehrenden Schmerzen in der Schulter erscheint und erst dann ein chirurgischer Eingriff erwogen wird. Es ist von größter Bedeutung, dass die Patienten über den natürlichen Verlauf ihres Problems unterrichtet werden, so dass sie eine fundierte Entscheidung treffen können.
Die Langzeitstudie von Moosmayer et al. stellt die höchste Qualität der Forschungsbemühungen dar um unsere Patienten richtig beraten zu können, eine prospektive randomisierte Studie mit langfristiger Ergebnisse und wie wir gemeinsam den natürlichen Verlauf eines bestimmten Problems unterbrechen.